03.12.13

Bericht vom Dresdener Kreuzchor in Schwedt

Auf dem Weg stoßen wir, wie jeder Besucher Schwedts,  der mit der Bahn kommt,  auf den Berlischky-Pavillion. Eine sich erfolgreich haltende Umbenennung aus SED-Kreisen für die Begräbnisgruft der Schwedter Markgrafen nach dem Stadt- (und Hof!) Architekten Georg Wilhelm Berlischky.
 
Ausflug am 1. Dezember 2013
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe das Geheimnis nicht aufgeklärt, warum die Kruzianer ausgerechnet in Schwedt und nur in Schwedt aufgetreten sind. Es ist mir auch nicht gelungen, während meiner kleinen zweiteiligen Stadtführung, einen Zusammenhang zu schaffen... Zwar, Schwedts  Schicksal gleicht dem Dresdens  1945. Beide Städte wurden bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Wobei Schwedt - und das ist dann wieder ein entscheidender Unterschied - in der Hauptkampflinie lag und die Bevölkerung evakuiert war. 26 Schwedter soll es damals im Mai noch an der Oder gegeben haben. Dass Schwedt heute dennoch einen akzeptablen, ja guten Eindruck macht, liegt vor allem an der Entscheidung der DDR-Führung, hier Erdölverarbeitung in der Nachkriegszeit zu installieren - auch ein großes Papierwerk wurde ansässig. Beides existiert , modernisiert und personaltechnisch minimiert, bis heute.
Im Schwedter Stadtmuseum ein Gemälde mit einer Tauf-Szene im Berliner Ermelerhaus. Die Kaufmannsfamilie Ermeler betrieb auch in Schwedt schwunghaften Handel.
Und bis heute macht die Stadt und die Region einen erfreulichen Eindruck. Ich freue mich, Geschmack beiseitegelassen, über das große Kulturzentrum, das bis heute die Uckermärkische Bühne darstellt. Ihr erfolgreiches Management beweist sich nicht zuletzt in der Ausrichtung unseres Adventskonzertes, das (natürlich!) ein großer Erfolg wurde. Die ca. 75 Knaben und jungen Männer aus Dresden sangen in einer durchdachten Mischung einige Weihnachtsklassiker, wie "Stille Nacht", verzichteten jedoch nicht auf weniger bekannte Adventsohrwürmer und hatten vier Titel (Jörg Duda) als Uraufführung überraschender Weise im Programm. Wobei diese Titel wohl eher im Stil einer traditionellen Art des 19. Jahrhunderts angelegt waren.
KreuzKantor Roderich Kreile leitet und dirigiert den berühmten Chor.
 
Das große, ja riesige Haus an der Oder, errichtet anstelle des 1962 abgerissenen Schlosses  (Die Parallele zu Berlin und Potsdam! Doch mit dem  entscheidenden Unterschied, dass dort kläglicher Weise am Ort des abgeräumten Alten nichts Neues errichtet wurde - außer ein Aufmarsch, bzw. Parkplatz....), erwies sich auch über die Vorstellung hinaus als gastfreundlich: Wir haben die Wartezeit bis zur Abfahrt unseres Zuges (leider Sonntags nur alle zwei Stunden) im Theaterrestaurant bestmöglich verbracht.
 
Der Saal der Uckermärkischen Bühnen Schwedt fasst mehr als 800 Gäste, jeder kann hervorragend sehen und hören. PS die roten "Herzen" sind eine zufällig, nicht gewollte Ausleuchtung, die durch die Schatten der Lautsprecherboxen entstand.
Ich freute mich auch über das Mittagessen, bestellt im Gasthaus "Jägerhof", das nicht außerhalb der Stadt, sondern mittendrin liegt:  Im Zentrum der am originalsten erhaltenen Altstadt  -  zwischen evangelischer und katholischer Kirche, dem Amtgericht, den einstigen Tabakfabriken der Gebrüder Harlan und der Hahnschen Seifenfabrik. Das Haus hat eine empfehlenswerte Küche, hier können Sie auch getrost übernachten.
Unweit entfernt liegt das Schwedter Stadtmuseum, das uns ebenfalls gut gefallen hat.  Es machten einen freundlichen, gut sortierten und wissenschaftlich fundierten Eindruck. Bilder, Texte und Ausstellungsstücke in einem zuträglichen Verhältnis. Dabei einige hervorragende Exponate: Ich war vor allem über die wertvollen Gemälde verblüfft.  Ein zweite Überraschung war die Sonderausstellung zum Nachkriegskinderspielzeug, die zwei Jahre lang in Schwedt und Umgebung zusammengetragen wurde.  Es erschien mir ein Wunder, dass in einer doch recht kleinen Region so viel exzellent Erhaltenes gerettet werden kann.  Das ist bei Spielzeug keine Selbstverständlichkeit.... Sehr gut funktionierten auch die Texttafeln, die aus Interviews mit den ehemaligen Besitzern der Exponate aufgebaut waren. Freilich war ich auch schlicht gerührt und in die alte Zeit entführt, der ich als Kind und Vater mehr als mein halbes Leben mit diesem Spielzeugangebot zu tun hatte.  Ein großes Puppenhaus war in Schwedt aufgebaut, da kannte ich wirklich jede Stube, jedes Möbelstück - ich habe drei Töchter - und erinnerte mich an manchen erfolgreichen Kampfeinkauf. Wir erinnern uns ja zum Glück vorrangig an die Erfolge.
Wir promenieren "Am Bollwerk" dem schönen Schwedter Ufer zum Uckermärkischen Theater.  Im    Hintergrund der Juliusturm, links Neptun mit einem leckeren Gabelbissen.
Wer Schwedt besucht, besucht auch eine historische Besonderheit, die in Schwedt eine dreifache ist. Hier gab es bis 1788 eine eigene Brandenburger Markgrafschaft, deren Spuren im Schlosspark an der Oder und vor allem in der einstigen Begräbniskapelle an der Lindenallee zu finden sind. Die zweite Besonderheit ist, dass Schwedt dank eines außerordentlich starken Hugenottenzuzuges bis 1991 ein Zentrum der Tabakverarbeitung war und einige Produktionsstätten, vor allem Speicher wohlerhalten sind und weiter - z.B. als Gemäldegalerie - genutzt werden.
 
Über den Zaun fotografiert: Die oberirdischen Teile der Schwedter Mikwe. Im Hintergrund die Stadtmauer.
Last not least war Schwedt auch ein Zentrum Brandenburger Juden, 8 von 15 Tabakfabriken waren jüdische Gründungen. Der Friedhof der Gemeinde ist der besterhaltene der Juden im Land - und Schwedt hat, heute museal betreut, ein wertvolles Erbe in einer wohlerhaltenen und restaurierten     M i k w e ,  dem orthodoxen jüdischen Tauch- und Reinigunsbad. Schade nur, dass die Örtlichkeit im Winterhalbjahr nicht zu besichtigen ist. Da vergibt sich die Stadt, meine ich, eine Möglichkeit, Besucher mit seiner Geschichte zu erreichen... z.B mit einem exzellent erhaltenen "Exponat" an eine Gretchenfrage zu erinnern: Schwedter, was wurde aus Euren Juden....
 
Bei Tisch und WC ist alles okay. Plaste, deren Grundstoff aus Schwedt kam, nun wieder in Schwedt: Puppenstubeneinrichtungsgegenstände im Puppenhaus in der Sonderausstellung des Stadtmuseums.