Auf dem Weg stoßen wir, wie jeder Besucher Schwedts, der mit der Bahn kommt, auf den Berlischky-Pavillion. Eine sich erfolgreich haltende Umbenennung aus SED-Kreisen für die Begräbnisgruft der Schwedter Markgrafen nach dem Stadt- (und Hof!) Architekten Georg Wilhelm Berlischky.
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe das Geheimnis nicht
aufgeklärt, warum die Kruzianer ausgerechnet in Schwedt und nur in Schwedt
aufgetreten sind. Es ist mir auch nicht gelungen, während meiner kleinen
zweiteiligen Stadtführung, einen Zusammenhang zu schaffen... Zwar, Schwedts Schicksal gleicht dem Dresdens 1945. Beide Städte wurden bis zur Unkenntlichkeit
zerstört. Wobei Schwedt - und das ist dann wieder ein entscheidender
Unterschied - in der Hauptkampflinie lag und die Bevölkerung evakuiert war. 26
Schwedter soll es damals im Mai noch an der Oder gegeben haben. Dass Schwedt
heute dennoch einen akzeptablen, ja guten Eindruck macht, liegt vor allem an der
Entscheidung der DDR-Führung, hier Erdölverarbeitung in der Nachkriegszeit zu
installieren - auch ein großes Papierwerk wurde ansässig. Beides existiert , modernisiert
und personaltechnisch minimiert, bis heute.
Im Schwedter Stadtmuseum ein Gemälde mit einer Tauf-Szene im Berliner Ermelerhaus. Die Kaufmannsfamilie Ermeler betrieb auch in Schwedt schwunghaften Handel.
Und bis heute macht die Stadt und die Region einen
erfreulichen Eindruck. Ich freue mich, Geschmack beiseitegelassen, über das
große Kulturzentrum, das bis heute die Uckermärkische Bühne darstellt. Ihr
erfolgreiches Management beweist sich nicht zuletzt in der Ausrichtung unseres Adventskonzertes,
das (natürlich!) ein großer Erfolg wurde. Die ca. 75 Knaben und jungen Männer aus
Dresden sangen in einer durchdachten Mischung einige Weihnachtsklassiker, wie
"Stille Nacht", verzichteten jedoch nicht auf weniger bekannte
Adventsohrwürmer und hatten vier Titel (Jörg Duda) als Uraufführung überraschender Weise im
Programm. Wobei diese Titel wohl eher im Stil einer traditionellen Art des 19.
Jahrhunderts angelegt waren.
KreuzKantor Roderich Kreile leitet und dirigiert den berühmten Chor.
Das große, ja riesige Haus an der Oder, errichtet
anstelle des 1962 abgerissenen Schlosses (Die Parallele zu Berlin und Potsdam! Doch mit
dem entscheidenden Unterschied, dass dort
kläglicher Weise am Ort des abgeräumten Alten nichts Neues errichtet wurde - außer
ein Aufmarsch, bzw. Parkplatz....), erwies sich auch über die Vorstellung
hinaus als gastfreundlich: Wir haben die Wartezeit bis zur Abfahrt unseres
Zuges (leider Sonntags nur alle zwei Stunden) im Theaterrestaurant bestmöglich verbracht.
Der Saal der Uckermärkischen Bühnen Schwedt fasst mehr als 800 Gäste, jeder kann hervorragend sehen und hören. PS die roten "Herzen" sind eine zufällig, nicht gewollte Ausleuchtung, die durch die Schatten der Lautsprecherboxen entstand.
Ich freute mich auch über das Mittagessen, bestellt im
Gasthaus "Jägerhof", das nicht außerhalb der Stadt, sondern
mittendrin liegt: Im Zentrum der am
originalsten erhaltenen Altstadt - zwischen evangelischer und katholischer Kirche,
dem Amtgericht, den einstigen Tabakfabriken der Gebrüder Harlan und der Hahnschen
Seifenfabrik. Das Haus hat eine empfehlenswerte Küche, hier können Sie auch
getrost übernachten.
Unweit entfernt liegt das Schwedter Stadtmuseum, das uns
ebenfalls gut gefallen hat. Es machten
einen freundlichen, gut sortierten und wissenschaftlich fundierten Eindruck.
Bilder, Texte und Ausstellungsstücke in einem zuträglichen Verhältnis. Dabei
einige hervorragende Exponate: Ich war vor allem über die wertvollen Gemälde
verblüfft. Ein zweite Überraschung war
die Sonderausstellung zum Nachkriegskinderspielzeug, die zwei Jahre lang in Schwedt
und Umgebung zusammengetragen wurde. Es
erschien mir ein Wunder, dass in einer doch recht kleinen Region so viel exzellent
Erhaltenes gerettet werden kann. Das ist
bei Spielzeug keine Selbstverständlichkeit.... Sehr gut funktionierten auch die
Texttafeln, die aus Interviews mit den ehemaligen Besitzern der Exponate
aufgebaut waren. Freilich war ich auch schlicht gerührt und in die alte Zeit
entführt, der ich als Kind und Vater mehr als mein halbes Leben mit diesem
Spielzeugangebot zu tun hatte. Ein
großes Puppenhaus war in Schwedt aufgebaut, da kannte ich wirklich jede Stube,
jedes Möbelstück - ich habe drei Töchter - und erinnerte mich an manchen
erfolgreichen Kampfeinkauf. Wir erinnern uns ja zum Glück vorrangig an die
Erfolge.
Wir promenieren "Am Bollwerk" dem schönen Schwedter Ufer zum Uckermärkischen Theater. Im Hintergrund der Juliusturm, links Neptun mit einem leckeren Gabelbissen.
Wer Schwedt besucht, besucht auch eine historische
Besonderheit, die in Schwedt eine dreifache ist. Hier gab es bis 1788 eine eigene
Brandenburger Markgrafschaft, deren Spuren im Schlosspark an der Oder und vor
allem in der einstigen Begräbniskapelle an der Lindenallee zu finden sind. Die
zweite Besonderheit ist, dass Schwedt dank eines außerordentlich starken
Hugenottenzuzuges bis 1991 ein Zentrum der Tabakverarbeitung war und einige
Produktionsstätten, vor allem Speicher wohlerhalten sind und weiter - z.B. als Gemäldegalerie
- genutzt werden.
Über den Zaun fotografiert: Die oberirdischen Teile der Schwedter Mikwe. Im Hintergrund die Stadtmauer.
Last not least war Schwedt auch ein Zentrum Brandenburger
Juden, 8 von 15 Tabakfabriken waren jüdische Gründungen. Der Friedhof der
Gemeinde ist der besterhaltene der Juden im Land - und Schwedt hat, heute museal
betreut, ein wertvolles Erbe in einer wohlerhaltenen und restaurierten M i k w e , dem orthodoxen jüdischen Tauch- und
Reinigunsbad. Schade nur, dass die Örtlichkeit im Winterhalbjahr nicht zu
besichtigen ist. Da vergibt sich die Stadt, meine ich, eine Möglichkeit,
Besucher mit seiner Geschichte zu erreichen... z.B mit einem exzellent erhaltenen "Exponat" an eine Gretchenfrage zu erinnern: Schwedter, was wurde aus Euren Juden....
Bei Tisch und WC ist alles okay. Plaste, deren Grundstoff aus Schwedt kam, nun wieder in Schwedt: Puppenstubeneinrichtungsgegenstände im Puppenhaus in der Sonderausstellung des Stadtmuseums.