24.11.13

Bericht vom Ausflug "Börde und Böde"

Ottonischer Türklopfer an der Klosterkirche Hadmersleben
 
Busausflug am nebligen Novembertag Sonnabend, 23. 11. 2013
Börde und Bode - jeder kennt die Namen, doch kaum jemand weiß viel damit anzufangen. Ein Urlaubsland ist hier nicht. Auch kein berühmtes Industriezentrum oder ein Kultur-Mekka.
Verschönerungsarbeiten an der Burg Egeln
Oder doch? Die allgemeine Unklarheit, ja fast Unbekanntheit kann sich natürlich ein Reisegestalter zu nutzen machen. Gesetzt den Fall, dass auf den scheinbar weißen Flecken etwas zu entdecken ist.
Und das ist in der Börde doppelt und dreifach der Fall. Baudenkmäler und geschichtsträchtige Orte so dicht, dass es mit einer Reisegruppe Mühe macht, voranzukommen. Denn selbst schon im Nachbarort erwartet sie die nächste Entdeckung, hinter dem übernächsten Rübenacker eine weitere Überraschung.
Berliner im Ratsversammlungsraum der Reithufenstadt Kroppenstedt

Unsere Kirchenführerin in der Egelner Klosterkirche brachte es auf den Punkt: Hier im Börde-Harzvorland gäbe es mehr Gotteshäuser als in Bayern und dabei bedeutende Kirchen pro Quadratkilometer wie nirgendwo in Deutschland.
Das nicht allein: Kaum ein Städtchen links und rechts der Bode und kein Dorf, das nicht über ein Gutshaus, ein Schloss verfügt. Mindestens jeder dritte Ort beherbergt eine wirklich alte Burg, nicht selten diese schon erwähnt in fränkischer oder ottonischer Zeit.
Die Rester der Klosterkirche Gröningen, einst Filiale des Benediktinerklosters Corvey aus dem Jahr 936.
Romanischer Emporenschmuck der Klosterkirche Gröningen - hier das Original im Berliner Bode-Museum - wohl die älteste deutsche erhaltene Reliefplastik.

Vor 25 Jahren in DDR-Zeiten lag diese Gegend ganz JWD. Nur ein Katzensprung vor der Mauer, im Winkel  zwischen Harz und Helmstedt. Wer kam schon hierher!  Denkmalschützer und -Pfleger kamen dennoch. Denn selbstverständlich war es auch den DDR-Behörden nicht unbekannt, dass hier inmitten von Weißkohlfeldern und Zuckerrübenschlägen wertvolle Kulturschätze zu bewahren sind.
Da ist man platt vor soviel Pracht: Die Klosterkirche der Zisterzienserinnen in Egeln.
 
Pfarrer Kemming der Hamerslebener Klosterkirche, seit über 50 Jahren dort im Amt, weiß darüber zu berichten... und er kann auch erzählen, wie es zu diesem reichen Kulturleben kam. Freilich liegt es lange, sehr lange zurück.
Die Pfauen von Ludger Kemming im Klosterhof Hamersleben.
Mit der ersten Christianisierung unter den Franken haben wir  schon schriftliche Nachricht übers  Land westlich von Elbe und Saale. Über den Harz hinaus wurden die ersten Befestigungen und Straßen gebaut. Die Bode in ihrem unberechenbaren, gewundenen Verlauf war eine Gelegenheit zum Burgenbau, zur Sicherung der "Errungenschaften". Am Ende dieser Zeit stand die Gründung von Magdeburg, das unten den Ottonen zur bedeutendsten Stadt Mitteleuropas wurde. Wenngleich sich der Machtschwerpunkt bald verschob: Das Erzbistum blieb dort und seine reale Macht war gewaltig. In der Auseinandersetzung mit den neuen Kräften im Land, dem sesshaft werdenden Adel, den territorial gebundenen Militär, den nach (Handels) Freiheit strebenden Städtebürgern musste es einen eigenen Staat schaffen, politisch und ökonomisch kreativ werden, also seine Tätigkeit nicht allein auf geistiges Gebiet beschränken. So entstand das Land Magdeburg, der Kirchenstaat des Erzbistums. Seine geistige Macht beruhte auf seiner Konkurrenzlosigkeit, seine wirtschaftliche Macht konnte es als Landesherr aus den Rohstoffpotentialen schöpfen, wie aus dem Hallenser Salz und dem Bördeboden, aber auch aus den Abgaben der von der Kirche angesetzten Siedler, aus den gut arbeitenden Klöstern und zusätzlichen aus den üblichen Zuwendungen an die geistigen Herren, wie Spenden, Steuern, Ablass, die die "Kirche" allgemein und überall kassierte.
Kapelle der Asseburger Grafen in Neindorf: Prächtige und seltene Renaissance.
 
Reichtum, Wohlstand, Kunstfertigkeit, Produktivität und Solidität spiegeln sich bis heute in den historischen Bauten der Gegend, mögen sie auch verfallen oder vielfach verändert worden sein. Selbst der für diese Landschaft besonders böse ausfallenden 30jährigen Krieg konnte diese Zeichen einstiger Prosperität nicht auslöschen. Wenngleich er ein völlig verändertes Land hinterließ. Brandenburg-Preußen kam als Erbe ins Gebiet und der Fleiß der Bewohner kam dem neuen Staat gerade Recht. Die neue Provinz Preußens entwickelte sich bestens und besonders die Börde erlebte zur Zeit der Industriealisierung einen großen Aufschwung  -  mit Zuzug und Bevölkerungswachstum wie in einstigen Kolonialzeiten.  
Hochbarock in der Klosterkirche von Hadmersleben.
Das änderte sich erst langsam im 20. Jahrhundert und seinen Kriegen und Krisen. Das wahre Ausmaß des Niedergang kam erst oder wurde erst sichtbar mit dem Ende des Sozialismus-Versuches und bei Durchsetzung der Globalisierung. Selbst mit dieser durch hohe Bodenfruchtbarkeit begnadeten Erde flohen und fliehen die Menschen aus dem Land!  
Man spürt und sieht das.
Kleine schmucke Städte, scheinbar wohlhabende, gepflegte Dörfer, Kunst- und Kulturschätze in Kirchen, Klöstern, Schlössern, Sanierung der Wege, Fassaden, frische Farben, Umgehungstraßen, Mobilfunksendemasten und die neuesten Windgeneratoren - doch Stille und Leerstand mit gespenstisch wenig Leuten im Land.

DDR-Museum im Turmgefängnis der Burg Egeln.
 
 
Unser Kurs: Von der Autobahn auf die Schnellstraße B 81, erster Halt auf dem Bahnhof Langenweddingen, den am 6.7. 67 ein furchtbares Zugunglück heimsuchte - mit 94 Toten, darunter 44 Ferienkindern....
Unweit davon das Städtchen Egeln mit einer wohlerhaltenen Burg des Grafen von Haldensleben und einer reich und originell  ausgestatteten Klosterkirche für Zisterzienserinnen.
Das Nachbarstädtchen Kroppenstedt besitzt ein Rathaus aus der Renaissance und die Leiterin des schönen und romantischen Heimatmuseums zeigte uns stolz dort die Gefängniszellen. Besonders beeindruckt aber hat mich der Willkommensbecher der Stadt mit der Darstellung des Schäfers und seiner dreizehn Schäferstündchen... eine Geschichte, die auch in der Sagensammlung der Gebrüder Grimm zu finden ist.

Am Rand der Börde, aber auch an der Bode besuchten wir dann das alte Kloster Gröningen.  Vielleicht wäre die ganze Gegend viel bekannter, gäbe es das einst so berühmte Schloss noch in den Mauern der Stadt: Die Residenz der Halberstädter Bischöfe. Auch das Kloster ist arg reduziert auf uns gekommen, doch ist die Gründung Mitte des 10. Jahrhunderts durch Siegfried, den Bruder des berühmten Markgrafen Gero als älteste der Gegend anzusehen!
Von hier sind es mit dem Bus dann wieder nordwärts 2o Minuten bis zur berühmten Klosterkirche Hamersleben, ein schöner und gewaltiger und erhaltener Bau des frühen 12. Jahrhunderts.

Im Nachbardorf Ausleben aßen wir sehr gut und gepflegt zu Mittag im Gasthaus  "Gemeindekrug" der Familie Jerchel. Das allgemeinübliche Freiessen für den Busfahrer wurde uns leider nicht zugestanden, aber das Büfett, das der Koch für uns gezaubert hatte mit zarten Schnitzeln und Wildgulasch war ein Wucht.
Kurz nach der Mittagspause trafen wir im Bördekrankenhaus ein, das in Schloss und Park der einstigen Grafen von Asseburg eingerichtet ist. Ein Besichtigung des klassizistischen Schlosses ist nur von außen möglich, aber die wertvolle Gutkapelle (Renaissance!) kann nach Bestellung des Schlüssels bei der Klinikverwaltung besichtigt werden.

Nur drei Kilometer entfernt liegt Oschersleben, das einstige Kreisstädtchen der Börde (jetzt ist Haldensleben Kreisstadt).  Wir fuhren ohne Stopp hindurch, denn hier gibt es neben dem zentralen Gewerbe- und Einkaufsgebiet der unteren Börde nicht viel zu entdecken. Möglich wäre jedoch, die neue Motorsportarena zu besuchen oder im dazugehörigen Hotelrestaurant einzukehren.
Unweit liegt das für mich interessantere einstige Städtchen Hadmersleben mit ebenfalls einer Klostergründung aus dem 10. Jahrhundert. Hier könnte man sicher einen halben Tag zubringen, denn neben der barockisierten Klosterkirche über eine Unterkirche  mit Bauzeugnissen aus Ottos Zeiten gibt es ein Klostermuseum innerhalb eines heutigen Privat-Gymnasiums mit Internat und im Ortsmittelpunkt der noch immer recht großen Siedlung findet man die Reste einer Bode-Burg eines unbekannten aber sagenumwobenen Gründers - wohl ein naher Verwandter des Markgrafen Gero, sie gehörte später auch den Asseburgern, bzw.  und dem Erzstift.
Im Kaminzimmer des Burgrestaurants Wanzleben: Gasthauskultur pur.

Nur 10 Autominuten entfernt liegt noch eine größere Wehranlage, die Burg Wanzleben. Dank der bestehenden  und modernisierten Zuckerfabrik im eingemeindeten "Zuckerdorf Klein Wanzleben" ist mit Wanzleben ein Arbeits- und Lebenszentrum von Börde und Bode munter am Leben geblieben. Das zeigt sich auch in der Burg. Hier war schon zur Zeit Karls des Großen ein Kastell und stehen noch heute die Reste einer der größten Niederungsburgen Europas. Doch das wirklich Besondere: In der Ruine hat der neue Privatbesitzer ein Hotel mit Restaurant eingerichtet. Das befindet sich, geschmackvoll und gediegen ausgestattet, in den einstigen Pferdeställen und bietet eine gehobene Küche mit teils raffinierter, teils regionaler Speisekarte. Wir sind hier nur zur Kaffeepause eingekehrt - und das war, ehrlich gesagt, etwas enttäuschend, was an Service und Kuchen uns geboten wurde.
Keine zwei Stunden später hatte uns der Bus "Gegenwind" sicher wieder nach Wannsee gebracht.


Adventsfenster: Der alte Pferdestall der Burg Wanzleben.

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