Ottonischer Türklopfer an der Klosterkirche Hadmersleben
Busausflug am nebligen Novembertag Sonnabend, 23. 11. 2013
Börde und Bode - jeder kennt die Namen, doch kaum jemand
weiß viel damit anzufangen. Ein Urlaubsland ist hier nicht. Auch kein berühmtes
Industriezentrum oder ein Kultur-Mekka.
Verschönerungsarbeiten an der Burg Egeln
Oder doch? Die allgemeine Unklarheit, ja fast Unbekanntheit
kann sich natürlich ein Reisegestalter zu nutzen machen. Gesetzt den Fall, dass
auf den scheinbar weißen Flecken etwas zu entdecken ist.
Und das ist in der Börde doppelt und dreifach der Fall.
Baudenkmäler und geschichtsträchtige Orte so dicht, dass es mit einer Reisegruppe
Mühe macht, voranzukommen. Denn selbst schon im Nachbarort erwartet sie die
nächste Entdeckung, hinter dem übernächsten Rübenacker eine weitere
Überraschung.
Berliner im Ratsversammlungsraum der Reithufenstadt Kroppenstedt
Unsere Kirchenführerin in der Egelner
Klosterkirche brachte es auf den Punkt: Hier im Börde-Harzvorland gäbe es mehr
Gotteshäuser als in Bayern und dabei bedeutende Kirchen pro Quadratkilometer
wie nirgendwo in Deutschland.
Das nicht allein: Kaum ein Städtchen links und rechts der
Bode und kein Dorf, das nicht über ein Gutshaus, ein Schloss verfügt.
Mindestens jeder dritte Ort beherbergt eine wirklich alte Burg, nicht selten diese
schon erwähnt in fränkischer oder ottonischer Zeit.
Die Rester der Klosterkirche Gröningen, einst Filiale des Benediktinerklosters Corvey aus dem Jahr 936.
Romanischer Emporenschmuck der Klosterkirche Gröningen - hier das Original im Berliner Bode-Museum - wohl die älteste deutsche erhaltene Reliefplastik.
Vor 25 Jahren in DDR-Zeiten lag diese Gegend ganz JWD. Nur
ein Katzensprung vor der Mauer, im Winkel zwischen Harz und Helmstedt. Wer kam schon
hierher! Denkmalschützer und -Pfleger
kamen dennoch. Denn selbstverständlich war es auch den DDR-Behörden nicht
unbekannt, dass hier inmitten von Weißkohlfeldern und Zuckerrübenschlägen wertvolle
Kulturschätze zu bewahren sind.
Da ist man platt vor soviel Pracht: Die Klosterkirche der Zisterzienserinnen in Egeln.
Pfarrer Kemming der Hamerslebener Klosterkirche, seit über 50
Jahren dort im Amt, weiß darüber zu berichten... und er kann auch erzählen, wie
es zu diesem reichen Kulturleben kam. Freilich liegt es lange, sehr lange
zurück.
Die Pfauen von Ludger Kemming im Klosterhof Hamersleben.
Mit der ersten Christianisierung unter den Franken haben wir
schon schriftliche Nachricht übers Land westlich von Elbe und Saale. Über den
Harz hinaus wurden die ersten Befestigungen und Straßen gebaut. Die Bode in
ihrem unberechenbaren, gewundenen Verlauf war eine Gelegenheit zum Burgenbau,
zur Sicherung der "Errungenschaften". Am Ende dieser Zeit stand die
Gründung von Magdeburg, das unten den Ottonen zur bedeutendsten Stadt
Mitteleuropas wurde. Wenngleich sich der Machtschwerpunkt bald verschob: Das
Erzbistum blieb dort und seine reale Macht war gewaltig. In der
Auseinandersetzung mit den neuen Kräften im Land, dem sesshaft werdenden Adel,
den territorial gebundenen Militär, den nach (Handels) Freiheit strebenden Städtebürgern
musste es einen eigenen Staat schaffen, politisch und ökonomisch kreativ
werden, also seine Tätigkeit nicht allein auf geistiges Gebiet beschränken. So
entstand das Land Magdeburg, der Kirchenstaat des Erzbistums. Seine geistige
Macht beruhte auf seiner Konkurrenzlosigkeit, seine wirtschaftliche Macht
konnte es als Landesherr aus den Rohstoffpotentialen schöpfen, wie aus dem
Hallenser Salz und dem Bördeboden, aber auch aus den Abgaben der von der Kirche
angesetzten Siedler, aus den gut arbeitenden Klöstern und zusätzlichen aus den
üblichen Zuwendungen an die geistigen Herren, wie Spenden, Steuern, Ablass, die
die "Kirche" allgemein und überall kassierte.
Kapelle der Asseburger Grafen in Neindorf: Prächtige und seltene Renaissance.
Reichtum, Wohlstand, Kunstfertigkeit, Produktivität und
Solidität spiegeln sich bis heute in den historischen Bauten der Gegend, mögen
sie auch verfallen oder vielfach verändert worden sein. Selbst der für diese Landschaft besonders böse ausfallenden
30jährigen Krieg konnte diese Zeichen einstiger Prosperität nicht auslöschen.
Wenngleich er ein völlig verändertes Land hinterließ. Brandenburg-Preußen kam
als Erbe ins Gebiet und der Fleiß der Bewohner kam dem neuen Staat gerade
Recht. Die neue Provinz Preußens entwickelte sich bestens und besonders die
Börde erlebte zur Zeit der Industriealisierung einen großen Aufschwung - mit
Zuzug und Bevölkerungswachstum wie in einstigen Kolonialzeiten.
Hochbarock in der Klosterkirche von Hadmersleben.
Das änderte sich erst langsam im 20. Jahrhundert und seinen
Kriegen und Krisen. Das wahre Ausmaß des Niedergang kam erst oder wurde erst sichtbar
mit dem Ende des Sozialismus-Versuches und bei Durchsetzung der Globalisierung.
Selbst mit dieser durch hohe Bodenfruchtbarkeit begnadeten Erde flohen und fliehen
die Menschen aus dem Land!
Man spürt und sieht das.
Kleine schmucke Städte, scheinbar wohlhabende, gepflegte
Dörfer, Kunst- und Kulturschätze in Kirchen, Klöstern, Schlössern, Sanierung
der Wege, Fassaden, frische Farben, Umgehungstraßen, Mobilfunksendemasten und
die neuesten Windgeneratoren - doch Stille und Leerstand mit gespenstisch wenig
Leuten im Land.
DDR-Museum im Turmgefängnis der Burg Egeln.
Unser Kurs: Von der Autobahn auf die Schnellstraße B 81,
erster Halt auf dem Bahnhof Langenweddingen, den am 6.7. 67 ein furchtbares
Zugunglück heimsuchte - mit 94 Toten, darunter 44 Ferienkindern....
Unweit davon das Städtchen Egeln mit einer wohlerhaltenen
Burg des Grafen von Haldensleben und einer reich und originell ausgestatteten Klosterkirche für
Zisterzienserinnen.
Das Nachbarstädtchen Kroppenstedt besitzt ein Rathaus aus
der Renaissance und die Leiterin des schönen und romantischen Heimatmuseums
zeigte uns stolz dort die Gefängniszellen. Besonders beeindruckt aber hat mich
der Willkommensbecher der Stadt mit der Darstellung des Schäfers und seiner
dreizehn Schäferstündchen... eine Geschichte, die auch in der Sagensammlung der
Gebrüder Grimm zu finden ist.
Am Rand der Börde, aber auch an der Bode besuchten wir dann
das alte Kloster Gröningen. Vielleicht
wäre die ganze Gegend viel bekannter, gäbe es das einst so berühmte Schloss
noch in den Mauern der Stadt: Die Residenz der Halberstädter Bischöfe. Auch das
Kloster ist arg reduziert auf uns gekommen, doch ist die Gründung Mitte des 10.
Jahrhunderts durch Siegfried, den Bruder des berühmten Markgrafen Gero als
älteste der Gegend anzusehen!
Von hier sind es mit dem Bus dann wieder nordwärts 2o
Minuten bis zur berühmten Klosterkirche Hamersleben, ein schöner und gewaltiger
und erhaltener Bau des frühen 12. Jahrhunderts.
Im Nachbardorf Ausleben aßen wir sehr gut und gepflegt zu
Mittag im Gasthaus "Gemeindekrug" der Familie Jerchel. Das allgemeinübliche Freiessen für den Busfahrer wurde uns leider nicht zugestanden, aber das Büfett, das der Koch für uns gezaubert hatte mit zarten Schnitzeln und Wildgulasch war ein Wucht.
Kurz nach der Mittagspause trafen wir im Bördekrankenhaus
ein, das in Schloss und Park der einstigen Grafen von Asseburg eingerichtet
ist. Ein Besichtigung des klassizistischen Schlosses ist nur von außen möglich,
aber die wertvolle Gutkapelle (Renaissance!) kann nach Bestellung des Schlüssels
bei der Klinikverwaltung besichtigt werden.
Nur drei Kilometer entfernt liegt Oschersleben, das einstige
Kreisstädtchen der Börde (jetzt ist Haldensleben Kreisstadt). Wir fuhren ohne Stopp hindurch, denn hier
gibt es neben dem zentralen Gewerbe- und Einkaufsgebiet der unteren Börde nicht
viel zu entdecken. Möglich wäre jedoch, die neue Motorsportarena zu besuchen
oder im dazugehörigen Hotelrestaurant einzukehren.
Unweit liegt das für mich interessantere einstige
Städtchen Hadmersleben mit ebenfalls einer Klostergründung aus dem 10.
Jahrhundert. Hier könnte man sicher einen halben Tag zubringen, denn neben der
barockisierten Klosterkirche über eine Unterkirche mit Bauzeugnissen aus Ottos Zeiten gibt es
ein Klostermuseum innerhalb eines heutigen Privat-Gymnasiums mit Internat und im
Ortsmittelpunkt der noch immer recht großen Siedlung findet man die Reste einer Bode-Burg
eines unbekannten aber sagenumwobenen Gründers - wohl ein naher Verwandter des
Markgrafen Gero, sie gehörte später auch den Asseburgern, bzw. und dem Erzstift.
Im Kaminzimmer des Burgrestaurants Wanzleben: Gasthauskultur pur.
Nur 10 Autominuten entfernt liegt noch eine größere Wehranlage,
die Burg Wanzleben. Dank der bestehenden und modernisierten Zuckerfabrik im
eingemeindeten "Zuckerdorf Klein Wanzleben" ist mit Wanzleben ein Arbeits- und
Lebenszentrum von Börde und Bode munter am Leben geblieben. Das zeigt sich auch
in der Burg. Hier war schon zur Zeit Karls des Großen ein Kastell und stehen
noch heute die Reste einer der größten Niederungsburgen Europas. Doch das
wirklich Besondere: In der Ruine hat der neue Privatbesitzer ein Hotel mit
Restaurant eingerichtet. Das befindet sich, geschmackvoll und gediegen
ausgestattet, in den einstigen Pferdeställen und bietet eine gehobene Küche mit
teils raffinierter, teils regionaler Speisekarte. Wir sind hier nur zur
Kaffeepause eingekehrt - und das war, ehrlich gesagt, etwas enttäuschend, was
an Service und Kuchen uns geboten wurde.
Keine zwei Stunden später hatte uns der Bus "Gegenwind" sicher wieder nach Wannsee gebracht.
Keine zwei Stunden später hatte uns der Bus "Gegenwind" sicher wieder nach Wannsee gebracht.
Adventsfenster: Der alte Pferdestall der Burg Wanzleben.