01.11.07

Nachtrag für Sonntag, 4. November 2007

Gipssee bei Sperenberg

Schwer zu lesen: Die Dutschke-Tafel

Bedrohte Investruine: Hutfabrik

Die Klosterkirch in Alexanderdorf

Verlassener Friedhof in Horstwalde auf der Düne


Luckenwalde und die Flämingwiesen
Am Ausflug haben 12 Gäste teilgenommen. Aber eigentlich wären es 14 gewesen. Zwei Damen habe ich verloren. Das lag an Irritationen durch Falschangaben auf der Auskunftswebseite der Bahn und der telefonischen Auskunft der Bahn. Mein vor Wochen herausgesuchter Zug fehlte! Aber er fuhr dennoch pünktlich vom Südkreuz! Indessen hatte ich improvisieren müssen und den Bus umbestellt, um einen anderen Zug nehmen zu können. Da der Zug aber ja fuhr, war auch jemand schon vorher eingestiegen, der uns nicht bemerkte. Eine weitere Dame stieg später ein. Ich fühle mich unschuldig. Die Damen riefen mich auf dem Handy an und waren sauer, obgleich ich ihnen einen guten Vorschlag machte. Nämlich in Luckenwalde mit dem Taxi auf meine Kosten zur ersten Station unserer ab Wünsdorf beginnenden Busrute zu fahren. Sie legte auf und rief nicht noch einmal zurück.
Der Rest indessen war aber, hoffe ich, recht gut an diesem Sonntag. Unser außergewöhnlicher Busfahrer war der Chef eines kleinen Familienunternehmes höchstpersönlich: „Schulze-Reisen“ aus Mellensee. Kann ich empfehlen, wenn jemand einen preiswerten Bus im Südosten vor Berlin braucht! Herr Schulze wusste auch sehr viel über die Gegend – und aus einer ganz anderen Perspektive als ich. Nämlich als langjähriger Bewohner. Meine erste Station war das Kloster Alexanderdorf, wo ehemalige Berliner Krankenschwestern seit vielen Jahrzehnten erfolgreich ein katholisches Klosterleben nach den Benediktinerregeln aufrechterhalten und als Teil ihrer seelsorgerischen Arbeit auch ein Gästehaus betreiben. Eine Dame meiner Gruppe frage Schwester Hildegard: „Nehmen Sie hier denn auch Heiden auf?“ Worauf Schwester meine Dame umarmte und herzlich lachend versicherte: „Aber ja, wir sind doch alle Kinder Gottes!“
Einen kleinen Spaziergang bescherte uns dann die Besichtigung der alten Sperenberger Gipsbrüche. Die Tagebaulöcher sind vollständig mit klarem Wasser gefüllt, der Abraum mit dichtem Grün überwachsen. Ein wenig glaubt man sich im Traum angesichts so schöner „Waldseen“. Doch noch vor Kurzem (nachweislich seit über 500 Jahren und bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts) war hier industrielle Betriebsamkeit und das zu Stein kristallisierte Salz aus dem Zechstein-Meer wurde vor Ort gebrochen, gemahlen und erhitzt. Worauf es zu diesem vor allem für Stuckarbeiten so idealen Pulver wird (entdeckten erstmalig die Römer) Auf dem Notte-Kanal wurde es nach Berlin und Potsdam (Sanssouci!) gebracht. Die Fundstelle, der„Gipshut von Sperenberg", ist etwas auch geologisch Besonderes! Endlich gelang es der Gemeinde Sperenberg im vorigen Jahr dort einen Wanderweg anzulegen. Unbedingt sehenswert! Baden ist hier verboten, aber niemand hält sich daran.
Die nächste Station meiner kleinen Busfahrt war das recht einsame Dorf Horstwalde. Ich wählte es aus, aufgrund seiner besonderen Lage am Rande des Baruther Urstromtals und entlang einer 500 Meter langen Treibsanddüne. Auf der Düne wächst, gleich hinter den Gehöften magerer Kiefernwald und einzig der Glockenturm des Dorfes und der Friedhof fand hier Platz. Dieser Friedhof ist seit Jahrzehnten verlassen und die Natur holt sich die Menschenstätte zurück.
Ähnlich ergeht es auch dem ca. 900 ha Armeegelände im benachbarten Kummersdorf-Gut.
Hier richtete das kaiserliche Heereswaffenamt einst ein bedeutendes Erprobungs- und Versuchsgelände ein. Seine aus heutiger Sicht größte Bedeutung erlangte es durch die weltweit ersten kommerzialisierbaren Raketenbau- und -flugversuche. Der auffällig talentierter Berliner Physikstudent W. von Braun war daran beteiligt. Er war dem leitenden General Dornberger durch seine Promotion aufgefallen. Der Forschungsgruppe, die ab 1938 dann weiter in Peenemünde arbeitete, gelang es mit ihren wahnsinnig schnell einsatzreif entwickelten Raketenträgern zum Glück nicht den Ausgang des 2. Weltkrieges zu beeinflussen. Aber aus dieser deutschen Ratetentechnik wurde die Waffenbasis für die Ideologie des Kalten Krieges und so ganz nebenbei auch das Transportmittel für die Landung der ersten Menschen auf dem Mond. Von Braun hat stets verteidigt, für Hitler und für die atomare Hochrüstung gearbeitet zu habenm zu müssen: Anders als mit dieser „Starthilfe“ wäre Raumfahrt nicht zu entwickeln gewesen. Noch weitere, aus damaliger Sicht viel wichtigere Neuerungen wurden in Kummersdorf entwickelt – zum Beispiel Kettenfahrzeuge, Raketenwerfer, Brennkampfstoffe und Schnellstraßen aus märkischem Beton („Autobahnen“). Es ist überfällig, dass Landes- und Bundesregierung dies Territorium für die Geschichte und den Tourismus „aufbereiten“, wie es ähnlich im benachbarten Wünsdorf nun geschieht.
Der zweite Teil des Tages galt der Hauptstadt des den Berlinern gut bekannten Landkreises Teltow-Fläming. Ich bin der Meinung die Berliner kennen diese Stadt viel zu wenig. Zu Unrecht – ist Luckenwalde doch so etwas wie Berlins kleine Schwester. Eigentlich d i e Industrie- und Arbeiterstadt Brandenburgs. Das zu zeigen war mir wichtig und war auch nicht schwer. Denn wenn Luckenwalde auch nicht allzu Besonderes landschaftlich zu bieten hat – die Nute hier ist ja ganz nett - und auch aus alten Zeiten nur eher Durchschnittliches bewahrt wurde (etwa den aus der Kolonisierungszeit stammenden Marktturm) – die Industriedenkmäler sind eine Freude für jeden Stadtführer!
Zuerst zu nennen ist da natürlich die ehemalige Hutfabrik – entworfen von Erich Mendelsohn. Derzeit ist sie entkernt, steht leer, und jeder kann sehen, wie gut die Idee des Architekten erhalten ist. Leider stagniert das Baugeschehen und die Witterungseinflüsse werden die Fortschritte der Rekonstruktion wieder zunichte machen. Hier braucht Luckenwalde offensichtlich Hilfe…
Und die Beste wäre, dass wieder Arbeit in die Fabriken einzieht! Fast alles, nicht nur in der Hutfabrik, steht leer und öd. Oder wurde bereits bis auf einen symbolischen Fassadenrest aus der Stadt gefegt – wie die einst erste und einzige Whiskyfabrik Deutschlands – Firma Falkenthal.
Hüte und Schnäpse werden also nicht mehr produziert, auch keine FDJ-Blusen, keine Olympiakopfbedeckung, keine Kugellager oder Weihnachtsteller… aber noch immer und das seit 160 Jahren: Feuerwehrgeräte und –fahrzeuge. Und die Stadt hat noch eine Brauerei. Das Bier haben wir bei der Einkehr im „Vierseithof“ getestet: Sehr gut!
Der „Vierseithof“ ist sicher zu Recht die bekannteste Adresse für Unterkunft und Einkehr in der Kreisstadt. Und ist ein bedeutendes Denkmal der ersten preußischen Industrialisierungsphase! Hier hatte einst der Verleger der Luckenwalder Weber seinen Sitz, auf dem dahinter liegenden Gelände standen die ersten mechanischen Webstühle und die erste in der Textilindustrie eingesetzte Dampfmaschine Brandenburgs. Parallel dazu ist auch der Wohnungs- und Kulturbau in Luckenwalde interessant: Im Sinne des Bauhauses und des Neuen Bauens gibt es mehrere gut erhaltene Beispiele – eine Bruno Taut verpflichtete Siedlung zum Beispiel wird mustergültig saniert und die berühmte Stadtschule mit einer Aula, die auch als Stadttheater genutzt wird, ist in Topzustand. Wird von Schülern und Künstlern seit fast 80 Jahren benutzt.
Am Schluss bleibt zu erwähnen, dass wir auch bei Rudi Dutschkes Gymnasium waren und durch sein Heimaltdorf (Schönefeld bei Gottow) mit dem Bus fuhren. Dutsche hat eine dicke Aktie an der Veränderung in Deutschland in Folge der „68er“-Zeit – dennoch fand ich in Schönefeld keinen Hinweis auf ihn und auch die Gedenktafel an der Schule soll gegen den Widerstand der Lehrer aufgestellt worden sein (was mich nicht verwundert).
Wer ohne eine geleitete Führung nach Luckenwalde kommt, hat alle Chance, das zu finden, was er sucht (und mehr). Mein Tipp: Mit dem Stadtmuseum beginnen. Es liegt schön zentral im mittelalterlichen Kern wie kaum ein vergleichbares Museum in Ostdeutschland. Seine Sammlung ist nicht riesig, aber sehr gut aufbereitet. Nicht altbacken, doch auch nicht langweilig sachlich-modern. Die Schwerpunkte und Eigenheiten der Stadt kommen gut zur Wirkung und der Rundgang durch die Etage ist eine ergiebige Ergänzung zum Stadtgang. Im Hause befindet sich auch die Stadtinformation, die auch am Wochenende geöffnet ist – bitte schön, das ist etwas Besonderes! Dort gibt es einen kleinen „Stadtführer“, der über das Wichtigste informiert. Mein Wunsch an die Redaktion: Den Inhalt dort bitte etwas ausführlicher und die Standorte exakter angeben. Es fehlen zum Beispiel die Hausnummern, so dass es schwerfällt, die Gebäude oder Grundstücke in natura zuzuordnen.
Kurios ist, dass dieser jährlich aktualisierte Guide das in Berlin wohl Bekannteste in der Region überhaupt nicht erwähnt. Den „Fläming-Skate“. Hier nämlich, an der neuen Kreisverwaltung (luxuriöser Bau!) ist der „Einstieg“ für die Skater und Radler. Ein halbe Stunde fährt man mit der Regionalbahn von Südkreuz in diese Stadt. Für 2,50 € in der Gruppe ab B-Bereich.