28.06.15

Bericht von einer Friedhofswanderung in Kreuzberg

"Allerlei Geister" am Sonnabend, 27. Juni 2015


Auch dieser Termin war sicher noch vom Poststreik gestört, denn es nahmen nur 11 Gäste teil....
Vielleicht habe ich auch etwas übertrieben in der Programmvorschau mit der Länge von 3 Stunden. Tatsächlich waren es dann nur zweieinhalb plus eine halbe Stunde erholsame Einkehr im Cafe am Friedhof - Bergmannstr. 42.  (www.cafestraussberlin.de .... guter Kaffee, originelle "Schnittchen" und echt guter Kuchen). Die Führung fand also statt - und ohne Regen oder weitere Störungen oder Anstrengungen. Ich glaube, es war für alle Teilnehmer eine Überraschung, wie viele Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Stadt, aber vor allem aus dem "Quartier latin" Altberlins hier die letzte Ruhe gefunden haben. Darüberhinaus ist die Gartenanlage seit der Gründung 1825 beibehalten worden - entworfen nach dem Herrenhuter-Reformen und dem Idealfriedhof in Dessau. Natürlich ist der Ort kein Museum, sondern vor allem aktuelle Bestattungstätte, aber gemeinsam mit dem Dorotheenstädischen in Mitte und dem Mattäusfriedhof in Schöneberg findet der kunst- und geschichtsinteressierte Besucher hier die meisten und wenn ich so sagen darf schillerndsten Namen Berlins auf einem Friedhof. Der Schwerpunkt liegt dabei klar einmal in der Epoche um 1800 und sichtbar noch einmal 100 Jahre später, wo ausladende Grabanlagen des Historismus von Experimenten des Jugendstils abgelöst werden. Über manche der Prominenten findet man in der Berlin- oder Deutschlandgeschichte oder der allgemeinen Kulturgeschichte viel und sehr viel Material - sei es ein  Politiker, wie der erzkonservative Adolf Stoecker, berühmter Gegner Bismarcks oder die Familie Gropius oder Charlotte Marschalck von Ostheim, die maßgeblich das Frauenbild von Friedrich Schiller prägte oder aber der Dichter August Kopisch, durch den die "Heinzelmännchen" in unserer Sprache geflügelt wurden. 
Hier sein deshalb noch ein Hinweis vermerkt auf weiterführende Literatur.
Für Schiller und Charlotte ist es u.a. ein Buch von Ursula Naumann "Charlotte von Kalb. Eine Lebensgeschichte" und eine (private) Webseite einer Schiller-Fachfrau  www.schiller-biographie.de

Beeindruckende Grabwand, suggestives Porträt. Der Architekt Heinrich Kayser (u.a. Truman-Villa am Griebnitzsee)

Schönes Grab für eine schöne Frau - Goethes "Iphygenie" in Weimar: Amalie Wolff. 

Ein Star der Goethezeit. Amalie Wolff porträtiert vom Maler Tischbein.

Würdiges Grabmal für einen Architekten: Familienstätte Gropius

Sie verfolgen ihn bis heute: Ein Heinzelmännchen im Efeu über Kopisch.

Mode zur Zeit der Reichsgründung....

Sichtbar ein stattlicher Mann, selbst ohne Nase: Friedrich Schleiermacher.


Ein historischer Winkel des Friedhofs mit dem Granit für Tieck.



Natürlich lohnt es auch (immer wieder) die Kugler-Biographie Friedrich des Großen zur Hand zu nehmen mit den Illustrationen des damals 25jährigen Adolph Menzel, der bekannterweise auch in der Bergmannstraße seine Ruhestätte hat oder eine Novelle von Ludwig Tieck aufzuschlagen bzw. seine berühmte Satirefassung des "Gestiefelten Katers".
Zur Anregung und weil es einen Bezug zum Titel der Führung gibt, abschließend eine Gedicht. Nicht etwa die "Heinzelmännchen von Köln" aus dem Jahre 1836 sondern vom Beginn des 20. Jahrhunderts, das u.s. die damals ungebrochene Popularität August Kopisch zeigt und sehr schön geeignet ist, um Kindern Spaß an Gedichten zu bereiten....

Börries Freiherr von Münchhausen

Das alizarinblaue Zwergenkind

Nein, was hab ich gelacht!
Da kommt doch diese Nacht
Ein kleinwinzig Zwergenkind
Aus dem Bücherspind
Hinter Kopischs Gedichten hervor
Und krebselt an meinem Schreibtisch empor.

Trippelt ans Tintenfaß:
"Was ist denn das?"
Stippt den schneckenhorndünnen Finger hinein,
Leckt,- "Ui, fein!"
Macht halslang, guckt dumm
Nochmal in der ganzen Stube rum,
Gottseidank, allein!

Zwergenvater begegnet sich selber im Mondenschein,
Mutti, um was Gescheiteres anzufangen,
Is e bissel spuken gegangen.
Da knöpft es sein Wämschen ab,
Hemd runter, - schwapp!
Spritzt's ins Tintenbad hinein,

Taucht, plantscht, wischt die Augen rein,
Pudelt
Und sprudelt,
Nimmt's Mäulchen voll,
Prustet ein Springbrunn hoch zwei Zoll,
Streckt's Füßchen raus, schnalzt mit den Zeh'n,
Taucht, um mal auf'n Kopf zu stehn, -

Endlich Schluß der Bade-Saison!
Klettert raus, trippelt über meinen Löschkarton,
Schuppert sich, über und über pitsche-patsche-naß,
"Brr, wie kalt war das!"
Ist selig, wie es sie zugesaut,
Und kriegt eine alizarinblaue Gänsehaut.

Nun trocknet sich's auf dem Löschpapier,
Probiert dort und hier,
Was da für'n feines Muster bleibt, -
Als ob einer, der schreiben kann, schreibt!
Ein Fußtapf, - wie 'ne Bohne beinah!
Ein Handklitsch, - alle fünf Finger da!
Nun die Nase aufgetunkt,
Lacht schrecklich: Ein richtiger Punkt,
Ein Punkt!

Wo's aber gesessen hat
Auf dem roten Blatt, -
Wie's da hinguckt,
Da hat's ein Dreierbrötchen gedruckt,
Ein kleinwinziges zweihälftiges Dreierbrot,
Blau auf rot!
Erst lacht's. Dann schämt sich's. Und dann
So schnell es kann
Am Tischbein runter,
Durch den Mondenschein
In Schrank hinein!

Ein Weilchen noch hinter den Büchern her
Hörte ich's piepsen und heulen sehr,
Hat so arg geschnieft und geschluckt,
Weil es das - Dreierbrötchen da hingedruckt!

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