02.09.11

Engel über Brandenburg (2)

Der Segeletzer "Weltenbummler" (30Jahre alter Busoldtimer!) in Zernitz

Taufengel-Ausflug Nr. 2
Ostprignitz – Ruppin
Mit einem kleinen, netten Bus der Firma Schröder-Reisen aus Segeletz (http://www.schroederreisen.de/)fuhren wir heute bei schönstem Wetter einmal quer durch diesen märkischen Landkreis von Ost nach West. Mir selbst macht allmählich das eigentlich eher scherzhaft begonnene Unternehmen Spaß und Freude. Vielleicht ging es meinen Gästen ähnlich. Spaß macht es, so unbeschwert, frei von einem gesamtheitlichen Lehr- und Lernauftrag in der kulturhistorischen Landschaft, diese barocken Fantasiegeschöpfe zu suchen und zu besuchen.
Mystisches Engelschweben in der Garzer Kirche

Im sehr sehenswerten Gutsgelände von Garz: Der romanische Wohnturm mit dem Renaissancetreppchen

Und Freude macht dabei nicht nur, sie auch zu finden, sondern in einer dichten Athmosphäre zu erleben, gewissermaßen in „guter Geseelschaft“. Das betrifft die Dorf- und Kirchgemeinden aber auch die Kirche - also den unmittelbaren Ort des Auftritts eines Engels.
Heute fiel mir auf, dass sich zwar die Engel stärker ähnelten als auf der ersten Besuchstour (in der Westprignitz), aber die Kirchen stärker Kontur gewannen. Vielleicht weil hier Bauern und Bürger, freier und wohlhabender (einst!) gewesen sind als dort.

In Protzen war gerade eine Taufe. Der Engel glänzt noch im Kerzenschein

Auch bedeutende Adelshandschriften waren auf unserer Tour zu entdecken – so in Garz die der Quaste, in Protzen warens die Kleists und an der Dosse die von Rohrs.
Obwohl diese Familie allesamt hier nicht mehr das Sagen oder Geben haben und auch die evangelische Kirche heute alles andere als wohlhabend zu sein scheint, waren alle besuchten Kirchen in einem guten, zumindest befriedigendem und teils auch sehr gutem Zustand. Und wer genau hinsah, entdeckte eben ganz andere „Geber“ als noch vor wenigen Jahrzehnten denk- oder vorstellbar waren: Stiftungen, Länderverwaltungen, Privatvermächtnisse, Sammlungen.
Ein herrlich urtümlicher Eindruck: Das spätromanische Haus der Kirche in Holzhausen

Interessant: Die Kirchen sind über ihre Bestimmung hinausgewachsen, sie haben eine über - oder muss man besser sagen - eine unterreligiöse Bedeutung erlangt, bzw. hat sich diese vergrößert. Wogegen sich die definiert kirchliche Kirche scheinbar immer mehr verkleinert. Vielleicht steckt hier auch ein Hauptgrund, warum die barocken Engel plötzlich vom Himmel, genauer aus den Dachböden, in die Kirchen hinabschweben. Es ist ja wohl eher nicht das religöse und modisch-sentimentale Bedürfnis, das sie einst entstehen ließ, als die Taufe noch obligatorisch war.

Suchbild des Stüdenitzer Altarraumes: Wo ist der Engel?

Nach meiner Beobachtung und meinem Ermessen schätzen die Zeitgenossen an den Engelsfiguren ihre besondere einmalige Aura, ihre eigentümliche Shäre, die ihnen tatsächlich etwas von einer Persönlichkeit verleiht. Und zwar von einer solchen, der wir in der Realität nicht oder nur selten oder wenn, nur kurz, begegnen. Von vielem ist in so einer Engelsfigur „zusammengeronnen“: Von Glauben und Legenden, Kunstwerken, Kunstfertigkeiten, Theaterinszenierungen, Träumen, Sehnsüchten samt den zugehörigen Ängsten. Ja, sicher auch für das Geheime und Verdeckte, das in unserer hilflos aufgeklärten Zeit ein endloses Comeback feiert, stehen oder hängen die Engel. Doch der letzte Punkt, der die Aura der Engel heute so greifbar und begreifbar macht, ist eher etwas Handfestes: Sie sind Zeugen einer konkreten Vergangenheit und damit Gegenstände, an denen wir unsere Achtung beweisen können. Wir freuen uns, dass Sie entdeckt, renoviert und gewissenmaßen wiederbelebt und gebraucht werden. Wir hauchen ihnen mit unsrem Interesse neues Leben ein. (Wer jemals erlebt hat, wie ein Enkelkind mit einem Teddy, der einst dem Opa gehörte, anfängt, begeistert zu spielen, wird mich vielleicht besser verstehen).

Die grün eingewachsene Kirche der Zernitzer

Nun zum Schluss die Orte, die wir besuchten in der Reihenfolge unseres Weges. Wir starteten mit dem Bus vom Bahnhof Friesack und stoppten dann in den Dörfern Garz, Protzen, Dabergotz, Gottberg, Holzhausen, Stüdenitz, Zernitz und Plänitz. Eine nette Mittagspause wurde in Neuruppin gemacht, direkt am See, auf der Terrasse der empfehlenswerten Gaststätte „Zur Wichmannlinde“.
Abschließend ein Tip, falls Sie privat diese Kirchen besichtigen möchten. Interessante Fakten für einen Zugang können Sie auf der Internetseite der evangelischen Kirche erfahren (http://altekirchen.de/) oder Sie fragen in den Dörfern nach den Mitgliedern im Gemeindekirchenrat, die meist auch über einen Schlüssel und entsprechende Berechtigungen verfügen. Nur noch selten sind dort die Frau - oder der Herr Pfarrer zu finden…. Die Kirchen sind heute mehr als früher Einrichtungen der Dörfer und ihrer Bewohner…. Und das ist gut so.

Auf der See-Terrasse des Gasthauses "Zur Wichmannlinde"

Allen Gemeindekirchenmitgliedern, auch den Mitarbeitern der Kirchen an dieser Stelle mein herzlicher Dank für die stets freundliche Hilfe!