18.02.09

Nachtrag zu zum 17. Februar 09

Wellness im Westen - Berlin-Winterwanderung


Unsere Mittagsgaststätte: Dampfer "Alte Liebe" (super!)

„Ach du Armer, es ist ja wieder so kalt geworden“, bemitleidete mich heute Morgen meine Mutter. „Da wird doch keiner wandern!“. „Mutti, es ist toll draußen!“ rief ich ihr zu. „Komm steh auf, geh raus in den Garten – die Sonne gießt heute alles in Gold.“
Mutters Haus heute Morgen...
Und so war es. Eine Stimmung, wie nur einmal in drei Jahren. Und ich Glückspilz hatte eine Wanderung angesetzt! Und nicht am Nachmittag, wo alles weggepustet sein kann, sondern relativ früh am Tag.
Aber es war so, wie Mutter es vorhergesehen hatte: Kaum jemand hatte sich auf die frühen Socken gemacht. Statt Sonne und Schnee hatten wohl alle die Glätte gesehen. Oder ist mein neues Programm noch nicht angekommen?! Oder das neue Layout animiert nicht. Vielleicht ist auch das Wortspiel des Titels (gemeinsam mit „Oasen im Osten) nicht allzu glücklich. Oder sollte es wirklich die Gegend und der Kurs gewesen sein – einfach zu bekannt:
"Fließwiese" mit Ruhleben-Panorama
Murellenschlucht, Stössensee, Pichelswerder, Selbstmörderfriedhof? Selbst wenn: Bei dieser Stimmung heute war alles anders, war wie verwandelt! Ein wunderbarer Schnee - pulvrig, knirschend, blendend weiß. Und alle anderen Farben der winterlichen Welt strahlten ungewöhnlich klar und warm.
Die eine Hälfte meiner Gruppe...
...die andere Hälfte.
Und das Beste – dieser Schnee, der bis
in den beginnenden Nachtfrost gefallen war, war n i c h t glatt. Selbst die hügligen Wege auf Pichelsberg und in der Murellenschlucht waren mühelos zu begehen. Viele Wildspuren, Vogelrufe, leiser Schneefall von den Ästen, wärmende Sonne. Die hatte nachmittags ein Teil der angefrorenen Schneeverzierungen weggetaut. Auf dem Kaiserdamm, im Grunde im Stadtteil der Wanderung, sah man um 16 Uhr nichts mehr vom Winter.

Die Fährtenleser
...der Fährtenmacher
Selten: Ein Schwarzspecht...
Aber mitten im Grunewald, wo wir eine Stunde zuvor durch den „Friedhof der Namenlosen“ stapften: alles dicht verschneit. Bis zum Boden hingen die Zweige der Koniferen und die bis fünf Meter hohen grünen Rhododendren erinnerten mit ihren weißen „Dächern“ an nie gesehene Fabelwesen.
Auch auf dem Friedhof Forst-Grunewald: Ein fünfzackiger Stern für die fünf verunglückten Kleinkinder Weihnachten 1975...
Der Friedhof, einst der "Schandacker" für Selbstmörder, der von vielen Besuchern, vor allem Journalisten immer wieder als verwunschen, ja verrufen beschrieben wurde, hat davon eigentlich nicht viel. Der Synodalfriedhof in Stahnsdorf ist vergleichsweise wirklich verwunschen. Und da Freitod heute eine andere Bedeutung hat, gerät auch der Grunewaldfriedhof in ein anderes Licht, bzw. hat die Stadtbezirksverwaltung hier schon vor über 80 Jahren Klarheit geschaffen: Der Begräbnisstätte ist gleichberechtigt in die Berliner (städtischen) Friedhöfe eingeordnet. Und so waltet die gute, alte Friedhofsordnung auch im Wald. Keine Unkräuter, keine Waldsaat, die aufgegangen ist, überwiegend fremde Koniferen, wenige Holzkreuze, eine sehr, sehr nüchterne Feierhalle und natürlich gelbe Warnzettel auf abgelaufenen oder wackligen Grabsteinen. In den Schaukästen Gebührenordnungen und leider kein Hinweis für das Auffinden der Ehrengräber, der (mehr oder weniger) bekannten Namen. Der Waldgottesacker ist auch nicht völlig einsam gelegen, wie es immer heißt, direkt daneben ist der Garten und das Wohnhaus des Försters, was wahrscheinlich für den Schutz vor hier zu befürchtender Randale gut ist. Auch "namenlose" Verstorbene auf Friedhöfen haben heute eine fast entgegengesetzte Bedeutung - im Zeitalter der Anonymbeisetzung und immer beliebter werdenden Wald- und Wurzelbestattungen. Allenfalls der deutliche Verweis auf das Du-musst-nicht-wissen-wer-ich bin ist hier im Grunewald orginell: Wenn auf gärtnerisch gepflegten Grabstätten in großen Lettern nichts weiter prangt als: "Mutter" oder "Regina" oder "13.3. 1982". Vielleicht gibts unterm Schnee auch Steine mit nur dem Wort zufrüh oder endlich... würde passen. Die bis vor kurzen noch wirklich anonymen Massengräber vom Kriegsende 45 sind von der Stadtverwaltung auch hier - wie in allen Berliner Friedhöfen - einheitlich gestaltet worden. Geordnet in Soldaten und Zivilisten, eine Namenliste ist beigefügt, Unbekannte sind mit "unbekannt" benamt. Für Angehörige ist dies ein Segen. Für den Friedhofswanderer, der die Listen im Boden nicht durchforstet, normiert es die Stätten des gewaltsamen und massenhaften Todes, will zusammenfassen, was nicht zu fassen ist.
Fotos: Scheddin
Familiengrabstätte Wohlberedt
Mit den Bekannten dieses Friedhofs ist es für mich genauso wie auf allen anderen Beisetzungsstätten. Wenn ich ihren Namen und den letzten Ort kenne, kann ich durch Lesen, Forschen, durch Aufmerksamkeiten außerhalb des Friedhof gewisssermaßen seinen Geist beschwören und das erworbene Wissen oder auch das nachträglich Erfühlte in mir mit zum Friedhof bringen. Es gibt kaum einen Toten über den sich nichts Lebendiges erfahren lässt. Und es gibt kaum einen Lebendigen, der nicht gerührt ist, von Toten Lebendiges (am Grabe) zu erfahren. Das Geheimnis der Friedhofsführungen...
Hier im Grunewald liegt zur letzten Ruhe, der Mann, der für mich einst zum Schlüssel dafür wurde: Willi Wohlberedt. Der Bedeutung seines Familiennamens gewissenmaßen nachgebend, hat er fast manisch über Verstorbene schreibend "geredet" und unser Wohlwollen, unsere Kenntnisnahme und Achtung wachgehalten. Wohlberedt, der vor 60 Jahren auf dem damals wirklich noch "Friedhof der Namenlosen" ruhen wollte, hat ein Leben lang, Verstorbenen den Namen zu erhalten versucht, hat ihre Namen gedruckt - im Selbstverlag in zahllosen Bändchen - zusammengefasst, knapp und kühl mit Beruf und Verdienst und dem exakten Ort in Berlins Friedhofdschungel. Beigefügt - kostbar - meist eine handgefertigter Karte.
Die eigene Beisetzung mit Name, Familie und Beruf hier unter den Unbekannten war sein letztes Zeichen, die letzte Recherche für die Finalpublikation.
Als ich im bewegenden Wendejahr 1990 mich von meiner Satiretexterei wendete, war er einer der ersten, wenn nicht der erste, der mir begegnete auf meinem Weg in die Vergangenheit Berlins.