05.02.08

Bericht von der Wanderung nach Beelitz-Heilstätten



Die Reha-Klinik Beelitz- ehemals das Haus der Lunkenklinik für Männer

Heilstätten in der Zauche

Zunächst eine Frage in eigener Sache: Warum ist mein Ausflugsangebot nicht attraktiv?!
Für die heutige Wanderung habe ich mir etwas Besonderes ausgedacht, zweimal recherchiert und ziemlich viel telefoniert. Das Wetter war sehr gut, geradezu ideal. Ich halte auch den Kurs für originell und gut. Ist es der wenig bekannte und wenig klangvolle Name der Zauche? Doch gerade sie birgt für viel Natur und für bis in die Anfänge reichende Geschichte.Was die heutige Veranstaltung schließlich konkret betrifft, waren, glaube ich, alle sehr zufrieden. Dennoch: Es waren nur sieben (7), die sich am Morgen dafür entschieden haben. Ca. 2000 Berliner haben mein Programm….

Nieplitz ist Slawisch: "Die Durchschreitbare"

Mit 7 Wanderern kann ich, wie es im Volksmund so schön heißt, nicht leben und nicht sterben. Ich wäre sehr froh, wenn ich wüsste, welche Angebote mehr populärer gewesen wären… Wenn ich mehr Publikum werbe, was möglich ist, damit letztlich mehr am Treffpunkt sind, werden andere Veranstaltungen garantiert andererseits überfüllt sein…. Ein ständiges Anmeldesystem einführen? Abgesehen davon, dass dies ein höherer Verwaltungsaufwand ist, stehen dann zwei Probleme zur Lösung an: Wenn sich zu wenig melden, heißt es den anderen abzusagen? Und zweitens finde ich es wichtig, auch zu Führungen und Wanderungen spontan kommen zu können.

Man verstehe mich nicht miss: Ich wundere mich nicht, wenn die Rahmenbedingungen einer Ausflugsveranstaltung geringe Beteiligung provozieren (wie Regen, Glatteis, Streik, oder abseitige, aufwendige oder kostspielige Ziele). Aber heute? Falls jemand dazu eine Meinung hat – ich wäre dankbar, sie zu hören oder zu lesen. Unterhalb jedes Kapitels auf dieser Internetseite ist ein kleines „Briefumschlägchen“, wo es ganz einfach ist, mir eine Mail und seine Meinung zu senden.


Der Sanatoriumspark ist zu Wald gewuchert

Also heute: War der Ausflug außer von gutem Wetter auch durch gutes Timing und abwechslungsreiche Inhalte gekennzeichnet – finde ich.
Die Wanderung ist auch gut zur Nachahmung geeignet, weil sie zwei gut versorgte Bahnlinien benutzt. Mit der Jüterboger Bahn von Wahnsee bis Elsholz (Bedarfshalt) und von Beelitz-Heilstätten auf die Berliner Stadtbahn zurück (Endstation Wünsdorf). Dazwischen liegen 11 km (nicht mehr!), die sich Halbe-Halbe aufteilen in Wiese und Wald und die Landschaft im Vorberliner Südenwesten bestens charakterisieren. Der Kurs führt auf einem wenig benutzten aber Top-Wanderweg zu einer Nieplitzbrücke, dann 1 Km über Wiesen an Grabenrändern zum Nieplitz-Radfahrweg (R5) und ins hübsche Reesdorf. Das
gehört heute mit 10 anderen Gemeinden zum Amt Beelitz, war aber bis vor kurzen selbstständig - und darauf sehr stolz. Das Dorf bietet sich noch heute dem Auge dar wie ein lebendes Denkmal des 19. Jahrhunderts. Keine Anbau, keine Neusiedlung greift über den Rand des Rundlings. In der Mitte steht, etwas erhöht eine gefällige Kirche des preußischen Barock. Der Weg zwischen den Häusern im Rund ist mit „Katzköpfen“ gepflastert.


Das "Sanatorium für Frauen" verwildert...

Von hier führ eine alter Fahrweg nach Rädel bei Lehnin direkt in den Kiefernwald der Zauche. Es ist alte Reesdorfer Heide, die für uns unsichtbar nahtlos nach zwei Kilometern übergeht in Beelitzer Heide. Der Wald war vor 17 Jahren der Unterschlupf und Tatort des Beelitz-Mörders, Spitzname „Rosa Riese“. Vor über 110 Jahren verkaufte Beelitz 150 ha Wald an die Berliner Landesversicherung (bei der die meisten Werktätigen kranken- und rentenversichert waren) und diese bauten für die damals bekannteste und gefährlichste Volkskrankheit einen Heilungskomplex. Komplex heißt: Es wurden für alle Stationen des medizinischen Eingriffs oder sonstiger Therapie und der darauffolgenden Heilungsstadien eigene Einrichtungen in einem gemeinsamen Territorium geschaffen. Also von der chirurgischen Klinik zum Beispiel bis zum Sanatorium. Das ganze nannte sich mit einem meines Wissens neuen Namen: H e i l s t ä t t e n . Lungenheilstätten. Alles dort, das spürt man sofort bis heute, ist von gediegenem Charakter. „Das Beste ist das Billigste!“ – nach diesem Leitgedanken wurde gebaut und geheilt. Und das, obwohl es sich bei dem Patientenklientel um die „einfache“ Bevölkerung handelte.


Beelitzer Spargelschlaf vor Reesdorf

Doch Berlin hatte gegenüber der Tbc eine gewisse Verpflichtung – wurde doch hier nur 15 Jahre zuvor der Erreger entdeckt und in Robert Kochs Institut dann eine umfassende, wissenschaftlich und sozial durchdachte Schlacht gegen das Bakterium eingeleitet. Mit staatlicher Unterstützung, versteht sich.
Von all dem ist heute nichts zu spüren.
Die Heilstätten kamen, mit einer Ausnahme (dem neuesten Teil aus den 40er Jahren), 1945 zu den Sowjetstreitkräften und wurden bis 1994 die einzige, zentrale und medizinisch voll ausgestattete Klinik der Sowjetunion außerhalb der Sowjetunion. Jeder Sowjetbürger, der außerhalb der Heimat krank wurde - und auch die meisten Entbindungen z.B. - dafür war nicht
Moskau oder Minsk zuständig: Mann/Frau kam nach Beelitz.
Als die Sowjets gingen, 1994, waren die Anlagen in einem vergleichsweise guten Zustand.
Heute ist das meiste verfallen oder dem Verfall nahe. Nicht nur das. Die Gebäude sind so gut wie ungesichert, Türen stehen offen für Wetter, Wild und Wilde.

Wie konnte das geschehen?! Die Heilstätten sind für die Berliner Medizingeschichte von unvergleichlichem Wert, sie waren auch sanierbar und integrierbar in das neu zu gestaltende medizinische System nach der Wende. Zumindest hätten sie für andere Zwecke genutzt werden können. Das Gelände liegt strategisch günstig, nicht hinterm Mond. Ein stündlich Richtung Deutscher Hauptstadt bedienende Bahnstation mitten im Klinikgelände! 35 Minuten bis Berlin Zoologischer Garten… Der Berliner Autobahnring in geringer (manchmal leider hörbarer) Entfernung.
Eine der Ursachen: Die Landesversicherungsanstalt, besser: Ihre Nachfolgeeinrichtung aus Westberlin hatte an der Wende-Erbschaft kein Interesse. So entstanden die ersten fünf Jahre Leerstand und Verfall.
Die „Blockade“ löste schließlich eine Finanz- und Unternehmensgruppe aus Berlin, der Roland Ernst vorstand. Sie kauften und wollten das gesamte Gelände schrittweise wiederbeleben. Aber mitten im besten Aufwärtstrend musste bekannter Weise die Unternehmensgruppe „Ernst“ Insolvenz anmelden und alles kam zum Stillstand. Es heißt, Roland Ernst will trotz „Pleite“ von dem Heilstättenbesitz nichts verkaufen. Vielleicht auch findet sich kein Käufer?

Der Teil jedenfalls, dem das Unternehmen Leben eingehaucht hat, ein Fachkrankenhaus und die Reha-Klinik funktionieren!
Wir sind dort gastfreundlich empfangen worden, haben in der Cafereria eine gutes Essen bekommen und durch Schwester Christa eine kleine sympathische Führung. Noch heute, das spürt man sofort, sind die Gebäude für medizinische und heilpraktische Zwecke bestens geeignet. Breite Flure, hohe Decken, abwechslungsreiche Baudetails dazu eine durchgreifende Sanierung und Modernisierung. Wer wie wir durch die Abteilungen geführt wird, hat den Eindruck: Warum ging das nicht auch für die anderen Klinikteile (saniert ist nur die ehemalige „Lungenklinik für Männer“, das allerdings größte Einzelgebäude der Heilstätten)?

Fotos Scheddin
Im Turbinensaal des Heiz-Kraft-Werks

Als letztes sahen wir uns auch die berühmten technischen Einrichtungen der Heilstätten an. Einst war hier viel Wert auf Bestform und Unabhängigkeit gelegt worden. Zur Energieversorgung wurde am Beginn des Jahrhunderts eine modernste Kraft-Wärme-Anlage entworfen und gebaut und mit der ebenfalls High Tec ausgestatteten Wasseraufbereitungsanlage in einem separaten Gebäudeteil untergebracht. Ein Gebäude davon hat der Landkreis Mittelmark der Roland-Ernst-Gruppe abgekauft, um die deutschland- und europaweit einmaligen technischen Zeugnisse zu bewahren. Betreut und getragen wird das seit Jahren vom Verein „Heiz-Kraft-Werk“. Die Vorsitzende Frau Seidel führte uns.
Trotz erheblicher Fortschritte – ich sah die Anlagen schon vor 10 Jahren – ist auch hier deutlich zu spüren, dass der Wettlauf zwischen Nutzung und Verfall in nicht allzu langer Zeit zu Gunsten des Letzteren ausgehen wird. Zu wenig Geld und Fachkraft wird eingesetzt, zu wenig Perspektivisch wird gearbeitet. Kaum wird vernetzt, kaum in den Zusammenhang des Landes oder der Hauptstadt integriert. Aber Beelitz Heilstätten war keine Beelitzer Einrichtung wie etwa der Beelitzer Spargel. Die Heilstätten waren praktisch Berliner Territorium. Wird sich jemals jemand zuständig fühlen für dieses große und grandiose und in vielem noch unverändert erhaltene Technikmonument für die damals wahrlich führende Berliner Medizin?
So arm, wie der Verfall in Beelitz-Heilstätten zum Himmel schreit, so arm dran kann Berlin doch gar nicht sein…


Linkadressen für diesen Ausflug

http://www.rehaklinik-beelitz.de/

http://www.beelitz.de/

http://www.naturpark-nuthe-nieplitz.de/

http://www.foerderverein-nuthe-nieplitz.de/




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